Biographie
Johann Jakob Hemmer (1733 - 1790)
Geistlicher, Sprachforscher, erfolgreicher Physiker, Meteorologe und Vollender des Blitzableiters
„Aufklärung“, so heißt es in dem berühmten Text von Immanuel Kant, „ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ – ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Kant, Voltaire, Montesquieu und Rousseau waren die herausragenden Hauptvertreter der Aufklärung, jener Geistesbewegung, die am Anfang des modernen Europa steht.
In dieser Zeit, der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entfaltete sich auch in Mannheim unter dem Kurfürsten Karl Theodor das geistige und kulturelle Leben zu höchster Blüte und Vollendung - einer Zeit, in der die Künste und Wissenschaften erwachten. Diesen Aufstieg verdanken die Mannheimer vor allem dem Wirken der in dieser Residenzstadt versammelten aufgeklärten Intellektuellen, die mit Mut, Entschlossenheit und Pioniergeist unablässig und mit akribischer Beharrlichkeit nach Besserem, Höherem und Größerem strebten. Zu ihnen zählt im Speziellen Johann Jakob Hemmer. Er gehört zweifellos zu den Großen dieses zeitgenössischen Denkens und ist eine der interessantesten, bedeutendsten und vielseitigsten Gestalten, die der pfälzischen Aufklärung ihre ersten Impulse geben. Hemmers Geburtsort liegt hier in der Südwestpfalz, in dem Ort Horbach.
Geboren wurde dieser aufgeklärte Intellektuelle des Vernunftzeitalters am 13. Juni 1733 als neuntes von zehn Kindern der Bauersleute Wilhelm und Anna Magaretha Hemmer. Obwohl seine Begabung bald erkannt wurde und er anfänglich die Lateinschule in Kaiserslautern besucht, fehlen seinen Eltern die notwendigen finanziellen Mittel, sein Talent weiter schulisch zu fördern. Als Wilhelm und Anna Magaretha das Geld für den Unterricht nicht mehr aufbringen können und sich auch kein Gönner findet, kehrt Johann Jakob nach Horbach zurück. Doch entgegen dem elterlichen Wunsch, Landwirt zu werden, verlässt er seinen Heimatort und schlägt sich als wandernder Sänger zur Laute nach Köln durch. Hier findet Johann Jakob Hemmer Aufnahme am Jesuitengymnasium und zeichnet sich durch besondere Leistungen aus. Als Hauslehrer der Familie Guaita verdient er sich den Unterhalt für sein anschließendes Studium der Philosophie und Mathematik in Köln. Dem Jesuitenorden nahestehend, absolviert er auch ein Theologiestudium an dem der Kölner Universität inkorporierten Jesuitenkolleg, ohne jedoch ein Ordensgelübde abzulegen.
Nach seinem Studium wird Johann Jakob Hemmer Hauslehrer bei dem Kurpfälzischen Kammerherren Franz Georg Freiherr von Sturmfeder, durch den er zum 31. Januar 1760 eine Stelle als Hofkaplan am Mannheimer Hof des Kurfürsten erlangt. Kurfürst der Pfalz war zu jener Zeit Karl IV. Philipp Theodor, ein überaus eifriger und vorbildlicher Förderer sowohl der Landeskultur auf allen damals möglichen Gebieten wie auch der schönen Künste und Wissenschaften. Karl Theodor galt auch als Verfechter des Merkantilismus und erhoffte sich von der Förderung der Naturwissenschaften vorteilhafte Auswirkungen und einen Nutzen für die gerade aufblühende kurpfälzische Ökonomie.
Von Beruf und Berufung war Hemmer eigentlich Hofkaplan und Theologe, was ihn allerdings nicht hindert, seinen außerordentlich vielseitigen Geist und seine ganze Schaffenskraft in den Dienst der Forschung auf physikalischem, sprachlichem und meteorologischem Gebiet zu stellen. Unterstützt wird Hemmers Forschungsdrang an der noch jungen kurpfälzischen Akademie in Mannheim durch den Kurfürsten als seinen Mäzen, der ihm in seiner Wissenschaft freie Entfaltung ermöglicht.
Am 16. April 1767 wird Johann Jakob Hemmer außerordentliches Mitglied der pfälzischen Akademie der Wissenschaften, am 20. Oktober 1768 ordentliches Mitglied.
Der heute weitgehend nur noch als Naturwissenschaftler bekannte Universalgelehrte veröffentlicht eine Reihe von Schriften zur deutschen Sprache, Rechtschreibung und Orthographiereform. In diesem Zusammenhang ist er an der Gründung der Kurpfälzischen Deutschen Gesellschaft zu Mannheim beteiligt, deren Ziel die Reinigung und Ausbildung der Muttersprache, die Vereinheitlichung der Rechtschreibung und die Förderung literarischer Bestrebungen umfasst.
Diese Gesellschaft wendet sich auch einer ganz bestimmten Kulturaufgabe zu, die speziell zu jener Zeit sehr bedeutungsvoll ist: dem Theater. Es werden regelmäßig Preise für das beste Lustspiel oder das beste Trauerspiel ausgeschrieben. Dem adligen Hofleben entsprechend fanden die Stücke in französischer Sprache statt. Johann Jakob Hemmer setzt sich vehement für ein eigenes deutsches Theater in Mannheim ein. Es dauerte bis 1777, bis das erste deutsche Nationaltheater für die Schauspieler zur Verfügung steht. Im Jahr 1782 wurden Schillers „Räuber“ hier erstmals aufgeführt.
Neben seiner Tätigkeit auf sprachwissenschaftlichem Gebiet widmet sich Hemmer jedoch hauptsächlich und mit besonderem Eifer mathematisch-physikalischen Studien. Auf dem Gebiet der Elektrizitätslehre war Johann Jakob Hemmer seiner Zeit weit voraus. Liest man heute seine Veröffentlichungen zu diesem Thema, stellt man fest, dass er sich Grundvorstellungen und Erkenntnisse erarbeitet hat, lange bevor anderenorts damit begonnen wurde, die elektrischen und magnetischen Erscheinungen und Zusammenhänge ernsthaft mit wissenschaftlichen Methoden zu erforschen. Hemmer begnügt sich nicht damit, nur wissenschaftliche Betrachtungen anzustellen, sondern bemüht sich auch um deren nützliche Anwendungen.
Als Physiker richtet er für den Kurfürsten Karl Theodor ein gesondertes Kabinett ein, das er bis zu seinem Tode leitet. Als einer der ersten deutschen Forscher arbeitet Johann Jakob Hemmer auch auf dem Gebiet der Luftelektrizität, einem Wissenschaftszweig, dessen Erkenntnisse sich in dieser Zeit propagierten. Seine Affinität zu atmosphärischer Energie führt ihn hier zum Studium des Blitzableiters. Insgesamt sind im süddeutschen Raum weit mehr als 150 Gebäude bekannt, für die Hemmer Blitzableiter konstruiert und bis auf wenige Ausnahmen selbst installiert.
So scheint ein Blitzschlag in den Marstall von Schwetzingen auch der Anlass dafür gewesen zu sein, dass sich Hemmer mit der Notwendigkeit des Blitzschutzes intensiv beschäftigte und den fünfstrahligen Blitzableiter, gekennzeichnet durch eine senkrechte Fangstange und ein waagrechtes Strahlenkreuz, erfand und einführte.
Diese pfälzische Konstruktion ist nicht nur deshalb von einmaliger Bedeutung, weil hier das Problem des Blitzschutzes so vollständig gelöst wurde, dass diese Blitzableiter bis zum heutigen Tage ihre Aufgabe erfüllen und in der Folgezeit ihrer Einführung nur kleine Verbesserungen und Vereinfachungen vorgenommen zu werden brauchten, sondern speziell deshalb, weil von hier aus der Blitzableiter seinen Siegeszug durch den Kontinent antrat.
Der erste Blitzableiter Hemmerscher Art wurde am 15. April 1776 auf dem Schloss des Obristjägermeisters Franz Karl Joseph Freiherr von Hacke in Trippstadt/Pfalz errichtet. Hemmer beschreibt seine Erfindung sehr ausführlich: „Das große Unternehmen ist gelungen, der hohe Gedanke ist ausgeführet. Da steht es, das schöne - das herrliche Werk des menschlichen Verstandes, der Sieg der Weltweisheit. Da steht es zu Erstaunen der jetzigen und künftigen Welt. Unzählige eiserne Stangen ragen auf den Gebäuden gegen Himmel empor um den Donnerstoff aufzunehmen und durch den gemachten Kanal in die Erde herunter zu führen.“ Doch durchsetzen konnten sich die postulierten Blitzableiter zunächst nicht. Viele Naturforscher, aber vor allem die Öffentlichkeit hatte die Befürchtung, dass die Ableiter das Unheil regelrecht anlocken könnten, galten doch Blitze als göttliches Strafgericht, das der Mensch nicht verhindern dürfte. Hemmer fand daher besonders auch unter den Theologen viele Gegner, die mit dem Argument eiferten, der Mensch würde mit seiner Ablenkung der Blitze Gott vorgreifen, da diese ein Werkzeug des Zornes Gottes seien. Hemmer entgegnete solcher Kritik mit der Meinung, man dürfe dann auch keine Dämme gegen Hochwasser bauen, da beides Naturgewalten seien. Erst durch eine Verordnung des Kurfürsten wurde die weitere Entwicklung Hemmers sogenannter Fünfspitze beschleunigt. Karl Theodor bestimmte 1776 als erster unter den deutschen Fürsten, dass alle Schlösser und Pulvertürme seines Landes mit Blitzableitern auszurüsten seien. In den folgenden Jahren wurde damit nicht nur die Existenz der Ableiter akzeptiert, es breitete sich ein regelrechter Elektrizitätstaumel in Deutschland aus, der dazu führte, dass die „Hemmerschen Fünfspitze“ mehr und mehr nachgefragt wurden.
Besondere wissenschaftliche Anerkennung erlangt Johann Jakob Hemmer auf meteorologischem Gebiet, als Vorkämpfer der heutigen modernen Wetteraufzeichnung. Als Sekretär und Organisator der im Jahr 1780 unter seiner Federführung gegründeten Kurpfälzischen Meteorologischen Gesellschaft gelingt Johann Jakob Hemmer zum ersten Mal in der Geschichte der Meteorologie die Einführung eines weltweiten Beobachtungsnetzes, das vom Ural bis Nordamerika und von Grönland bis zum Mittelmeer reicht. An rund 40 Orten waren Beobachter nach einheitlichen Verfahren und zu gleichen Zeiten (noch heute - Begriff der „Mannheimer Stunden“) tätig. Wetterstationen dieser Art befanden sich außer jenen in Deutschland unter anderem in Genf, Padua, Rom, Brüssel, Prag, Moskau, Petersburg, Kopenhagen, Stockholm, Cambridge/Mass. und in Grönland. Karl Theodor unterstützt Johann Jakob Hemmers Wirken auch auf diesem Gebiet und finanziert großzügig die Ausstattungen der Stationen. Damit wird Mannheim zur Geburtsstätte der wissenschaftlich forschenden Meteorologie.
Die aufrichtige Anerkennung Johann Jakob Hemmers Leistungen „in der gelehrten Welt“ veranschaulicht seine Mitgliedschaft in der Kurpfälzischen Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft zu (Kaisers)Lautern sowie in den Gelehrten-Gesellschaften zu Bologna, Dijon und Stockholm. Am 24. Juli 1776 wird Johann Jakob Hemmer zum geistlichen Rat und am 14. Juli 1788 zum geistlichen Geheimrat ernannt. Ihm wird der Titel des Hofrats des Herzogs Karl August von Zweibrücken ebenso wie der eines Geheimen Hofrats des Königs Stanislaus von Polen verliehen.
Der Wissenschaftler und Vollender des Blitzableiters feiert im Juni 2008 seinen 275. Geburtstag. Für die kulturelle Attraktivität unserer südwestpfälzischen Region ist es elementar, derartig bedeutende, zeitgeschichtliche Charaktere und ihr wissenschaftliches Erbe lebendig zu halten.
Zu Ehren eines der großen Söhne der Pfalz: JOHANN JAKOB HEMMER (1733 - 1790)